Andreas Kurz: Leseprobe - Andreas Kurz - Bild und Text

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L   E   S   E   P   R   O   B   E
Andreas Kurz

Einsam
 
Ich lag auf dem Bett in meiner kleinen, ranzigen Bude, starrte an die Decke und lauschte dem Blut in meinen Adern. Es rauschte wie ein Autoradio im Tunnel und kam mir laut wie die Klospülung von nebenan vor. Während ich nur so dalag, war mein Blut unterwegs. Es gab die Runde zu den Füßen und Zehen, die ganz große Tour, dann die Runde zu den Armen und Fingern, das übliche eben und die Runde hoch zum Kopf ins Hirn. Nicht sehr weit, aber was für eine aberwitzige Wolke aus kleinen und kleinsten Äderchen wartete dort auf das viele Blut. Schlafen konnte ich in dieser Nacht nicht. So bemerkte ich, wie sich genau über mir an der Decke ein neuer Riss bildete und sich ein erster Tropfen sammelte, immer schwerer wurde, dicker, einen durchsichtigen Bauch bekam. Ich wusste sofort, dass es kein Wasser war, sondern pure Einsamkeit, die jeden Augenblick auf mich herunter tropfen wollte. Oft musste ich schon so gelegen sein und es nicht bemerkt haben, verwundert über die Flecken auf meinem Hemd am nächsten Morgen und das Telefon, in dem es nur noch elektrisch knisterte.

Ich sprang hinaus, holte eine Schüssel, stellte mich aufs Bett, streckte die Arme über den Kopf und hielt das Gefäß unter den Riss. Leise perlten die Tropfen, langsam erst, doch zunehmend schneller, aber dieses eine Mal fielen sie nicht mehr auf mich. Kurze Zeit später versiegte die Quelle. Am Tisch sitzend, das Kinn auf die Hände gestützt, betrachtete ich vor mir die aufgefangene Einsamkeit in der Schüssel. Sie schimmerte silbrig, Haut überzog ihre Oberfläche, die kleinste Erschütterung ließ sie zittern und sandte kleine Wellen zum Rand. Das war sehr schön und nahm mich ganz gefangen. Ich hatte eine Idee, kramte eine Pipette hervor und saugte die Einsamkeit auf. Mit ihr in der Tasche streifte ich durch die Stadt, was für mich ein neues, aufregendes Gefühl war. Ich verfolgte einzelne Passanten, die mir passend schienen, schlich ihnen hinterher, besah mir ihr Leben, blieb aber an keinem wirklich dran.

Erst später fand ich einen im Park, der zu passen schien, weil er doch alles hatte, ein hübsches Mädchen im Arm, ein schickes Cabrio in der Garage und die Gewissheit im Kopf, auch morgen noch angerufen zu werden oder geheimnisvoll abgekürzte SMS-Botschaften zu bekommen. Ich versuchte ihn dafür zu hassen, wusste aber nicht, ob ich es hinbekam. Denn was ich auch fühlte, war letztlich schwammig und auf verstörende Weise ungewiss.
Von hinten schlich ich mich an ihn heran, war nichts weiter als ein Spaziergänger, der fröhlich ausschreitend zum Himmel und den Kronen der Bäume sah. Im günstigen Moment drückte ich auf den Gummiballon der Pipette, tropfte ihm die Einsamkeit aus meiner Bude auf die Schulter, murmelte knapp Verzeihung, beeilte mich fort zu kommen und drehte mich erst nach einer Weile wieder um.

Sieh an.
Da stand er verloren im Park, ein einsamer Niemand, und suchte nach ihr, seiner Geliebten, seiner gerade noch so sicher gewähnten, konnte sie aber nicht mehr erkennen, obwohl doch nur ein paar Schritte entfernt, genau wie sie ihn nicht mehr spürte, kein Gefühl, nirgends. Es war mir ein Hochgenuss, es zu beobachten, muss ich zugeben. Es gibt kein ärgeres Gift als Einsamkeit, nichts wirkt stärker, tiefer, nachhaltiger, nichts wandelt unser Herz mehr zu Styropor. Hart wird es, bröckelig und verliert all sein Gewicht.

Ich kehrte um, sprach munter das zarte, junge Ding an, fragte, ob sie sich denn nicht allein fühlen würde hier im Park. Dankbar betrachtete sie mich, ein wenig ratlos noch, doch schon bald fasste sie Vertrauen, hakte sich bei mir ein, fühlte sich von mir verstanden. Schnell schmiedeten wir Pläne, sprachen von Reisen, schufen uns eine gemeinsame Welt, wollten so viel. Ich setzte mich mit ihr auf den Rasen, war so heiter gestimmt, da hörte ich leise etwas zerbrechen und als ich aufsah, war sie schon nicht mehr da, um mich herum ein leerer Park mit seltsam gebogenen Bäumen, deren Zweige sich schwer zur Erde hin wölbten. In meiner Tasche die Pipette mit dem ganzen noch nicht verbrauchten Rest darin, kaputt. Ich hatte sie ganz vergessen.

Ich schlich zurück in meine alte Bude, ein Zimmer nur, ganz klein, in einer Straße ohne Namen, in einem Haus, an dessen Tür niemals jemand klopfen würde. Über meinem Bett an der Decke tausend Risse, durch die die Einsamkeit auf mich heruntertropfte, wenn ich erst schlief. Ich sah sie glitzern, tausendfach, so viel wie noch nie, mehr als jemals zuvor. Draußen bellte fern ein Hund. Ich stellte mir vor, wie er den Mond ankläfft und hofft, der würde mal reagieren und Notiz von ihm nehmen. Ich jedenfalls hätte es gehofft. Als Hund.

Ich zog mich aus, legte mich auf das Bett, starrte an die Decke. Meine Augenlider wurden schwer, ich malte mir aus, wie schön es wohl wäre, endgültig vergessen zu werden. Am Ende von mir selbst.

Ich spürte den ersten Tropfen auf dem Bauch. 
Er war weniger kalt als ich dachte.
 
(C) Copyright Andreas Kurz
 
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